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Andreas Schluricke.

Griechenland ist überall :

Europa

Positionspapier zur Beendigung der Finanzspekulation
gegen Staaten und Währungen und ihren Gefahren für
Demokratie und Wirtschaft

Prof. Dr. Elmar Altvater, Sven Giegold, Prof. Dr. Birgit Mahnkopf &
Dr. Hermann Scheer
Institut

Griechenland ist überall

Um die Finanzspekulation gegen Staaten und Währungen mit ihren elementaren
Gefahren für Demokratie und Wirtschaft zu beenden, sind politische Strukturreformen
auf nationaler und europäischer Ebene unverzichtbar.

– Ein Positionspapier des Instituts Solidarische Moderne –

Die Europäische Union ist ins Visier der organisierten Geldspekulation geraten.
Das Hilfspaket für Griechenland in Höhe von 123 Milliarden Euro und die 720 Milliarden
Euro - Eilinitiative der EU-Finanzminister zur Abwehr der Spekulation mögen
kurzfristig Entlastung bringen. Beides bannt jedoch weitere Krisengefahren
nicht. Es müssen strukturelle Maßnahmen zur Unterbindung gemeingefährlicher
Finanzspekulationen ergriffen werden – und zwar bevor der nächste Angriff erfolgt.
Die potentiellen Angriffsziele für den Einsatz spekulativer Finanzinstrumente, mit
denen die Griechenland-Krise in den letzten Wochen auf die Spitze getrieben
wurde, sind ja längst bekannt: Spanien, Portugal, Großbritannien. In Europa und
anderswo gibt es indes noch weitere prominente staatliche Schuldner, die ihre –
nicht zuletzt in Folge der Rettungsaktionen für private Finanzinstitute – dramatisch
angewachsenen Verbindlichkeiten nicht mehr ordentlich bedienen können
und vor einer Umschuldung stehen. Indem die Staaten wieder zum Schuldendienst
an private und öffentliche Kreditgeber befähigt werden sollen, müssen sie
sich harten Bedingungen bei der Gestaltung öffentlicher Einnahmen und Ausgaben
unterwerfen – ohne dass dabei mit Rücksicht auf die Folgen zu rechnen ist,
die eine Umschuldung für die jeweilige Wirtschaft, für die Demokratie und für den
sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft hat.
Organisierte Angriffe auf den Euro sind wegen ihrer Wirkungen Angriffe auf die
europäischen Gesellschaften insgesamt. Um diese abzuwehren, müssen kurzfristig
in der EU jene Spielräume beseitigt werden, die den Finanzspekulanten von der
Politik in den vergangenen Jahrzehnten eröffnet wurden. Solange dies nicht in
ausreichenden Maße erfolgt, reduziert sich Regierungshandeln auf das Schnüren
von finanziellen Rettungspaketen, die aus Steuermitteln finanziert werden, mithin
die Bürger in „Solidarhaftung“ nehmen. Wenn die nächste Finanzblase platzt, gibt
es keine nochmaligen finanzwirtschaftlichen Spielräume von Regierungen mehr –
weder für Bankenrettungsschirme, für Hilfspakete an Länder wie Griechenland
oder für eine Aufstockung des Milliardenpakets, das zur Verteidigung des Euro
bereit gestellt werden müsste, zu einem Billionenpaket.

Wir meinen: Gesellschaften sind keine Aktiengesellschaften, deren Wertpapiere
von Aktionären an der Börse gehandelt werden. Gesellschaften sind vor der Finanzspekulation und ihren zerstörerischen Folgen zu schützen – indem die Politik
sich ihr Primat über die Finanzmärkte zurück erobert.

Dringend notwendig ist eine Korrektur des Hilfspakets für Griechenland. Die damit
verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Härten für die griechische Bevölkerung
destabilisieren die Gesellschaft und gefährden darüber hinaus den sozialen Zusammenhalt
in der Europäischen Union insgesamt. Notwendig wären hingegen –
in Griechenland wie anderswo in der EU – Maßnahmen zur Sicherung der Steuerehrlichkeit,
zur Verringerung der eklatanten Ungleichheit von Einkommen und
Vermögen, zur Unterbindung der Korruption, zur Verteidigung öffentlicher Güter
und Räume als Grundbedingung für demokratische Partizipation. Der Entsolidarisierung
in der EU muss durch rational begründete, glaubwürdige und überzeugende
Konzepte gegen die schwere Finanz-, Wirtschafts-, Staats- und Integrationskrise
entgegen gewirkt werden. Was vor allem von der BILD-Zeitung in volksverhetzender
Weise gegen die griechische Bevölkerung kampagnenmäßig betrieben
wird, sind anti-europäische Geister, die in den letzten Wochen von CDU/CSU
und FDP aus der Flasche entlassen wurden.

Wir meinen: Eine gezielte Korrektur der Griechenland gestellten Bedingungen ist
angebracht. Diese sollten im Zusammenhang mit den folgenden „strukturellen “
Maßnahmen vorgenommen werden. Dabei muss unterschieden werden zwischen
kurzfristig ergreifbaren Massnahmen und solchen, für deren komplexe Ausgestaltung
es noch einen Erörterungsbedarf gibt.

Kurzfristig sollten folgende Massnahmen ergriffen werden:

1. Maßnahmen in besonderer deutscher Verantwortung

Deutschland trägt als das größte und leistungsstärkste EU-Mitgliedsland eine besondere
Verantwortung sowohl für die aktuelle Zuspitzung der Spekulationskrise
als auch für wirtschaftspolitische Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen, welche
indirekt die Finanzspekulation erleichtert haben. Die anfängliche Verweigerungshaltung
der Bundesregierung gegenüber einem Hilfspaket für Griechenland
hat die Spekulation erst richtig angeheizt. Die Notlagen anderer EU-Länder sind
auch durch stetig wachsende deutsche Exportüberschüsse im Handel mit anderen
Mitgliedsstatten der EU entstanden. Die so entstandenen Ungleichgewichte in der
EU sind nicht zuletzt eine Folge politisch gewollter rückläufiger Reallöhne und
Abgabenquote in Deutschland. Die massive Ausweitung eines Niedriglohnsektors
und die Weigerung der deutschen Regierung, einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn
einzuführen, haben nicht nur Konsequenzen für die davon unmittelbar
Betroffenen und für die Belastung der deutschen Sozialkassen. Sie sind auch mitverantwortlich für die wachsenden Ungleichgewichte im Euro-Raum. Eine einseitiger
Standortlogik verpflichtete nationalstaatliche Politik ist unsolidarisch gegenüber
den Menschen in anderen Volkswirtschaften im EU-Raum. Dem muss entgegengewirkt
werden durch

* die unverzügliche Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland,
etwa analog zu Frankreich.
* ein Investitionsprogramm, das anti-zyklisch auf Wachstum des deutschen
Binnenmarktes zielt, beispielsweise durch eine massive Erweiterung des
energetischen Altbausanierungsprogramms – statt dessen Kürzung, wie sie
gerade von der Bundesregierung vorgenommen wurde.
* die Einführung einer Vermögenssteuer zur Verringerung der dramatischen
Haushaltsdefizite, zumindest auf der Basis des Durchschnittsniveaus der vergleichbaren
EU-Mitgliedsländer, die diese erheben. Eine Vermögenssteuer
würde auch einen Teil der Geldvermögen abschöpfen, die Forderungen ge-
genüber Schuldnern begründen und zur Spekulation eingesetzt werden. Sie
ist ein Mittel, um die Gefahr der Überschuldung mindern.

2. Die sofortige Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa

Diese Steuer muss auf alle Finanztransaktionen erhoben werden; sie ist ein unverzichtbares
Heilmittel gegen das Spekulationsfieber. Die Weigerung der Bundesregierung
ist abwegig, diese Besteuerung im Zusammenhang mit dem Hilfspaket für
Griechenland der EU zu sehen. Die Steuer kann in der Eurozone oder auch in der
EU erhoben werden, wenn auf globaler Ebene kein Übereinkommen zu erzielen
ist. Innerhalb der Eurozone ist die deutsche Bundesregierung skandalöserweise
der schärfste Gegner der Steuer.

3. Die sofortige Gründung öffentlicher Rating-Agenturen

Die drei für die Bewertung von Krediten und die Risikoeinschätzung von Schulden
maßgeblichen US-amerikanischen Rating-Agenturen sind Privatunternehmen, die
selbst integraler Teil des globalen Spekulationstreibens sind. Sie haben ihre Integrität
und Glaubwürdigkeit längst verspielt, wie sich nicht nur an der unverantwortlichen
Überbewertung der US-amerikanischen Immobilienwerte gezeigt hat, die
einer der Auslöser der Finanzkrise im Jahr 2008 war. Auch im Fall Griechenland
haben sie mutwillig mit der Ende April erfolgten Herabstufung der Qualität griechischer
Staatsanleihen Öl ins Feuer gegossen, obwohl diese Abstufung keinerlei
Ursachen in einer gegenüber den Vormonaten verschlechterten Situation Griechenlands
hatte. Ratings verdanken ihren heutigen überproportionalen Stellenwert
staatlichen Regelungen, die diese zur Bedingung für Kreditvergaben machen.
Daher muss die Politik die Eigenkapitalvorschriften im Rahmen von Basel II diesbezüglich
kurzfristig aufheben und zügig grundlegend reformieren.
Wie zuletzt auch von Bundespräsident Köhler gefordert, müssen unverzüglich eine
oder mehrere öffentliche Rating-Agenturen gegründet werden. Es gibt keine Notwendigkeit,
sich nur auf eine einzige öffentliche Rating-Agentur zu beschränken.
Wenn es drei faktisch weltweit federführende private Rating-Agenturen gibt, kann
es auch mehrere öffentliche geben. Finanzstabilität ist ein globales, in diesem Fall
europäisches öffentliches Gut. Daher darf dessen Pflege nicht profitorientierten
privaten Unternehmen überlassen werden. Die Qualität der Ratings muss von der
neuen Europäischen Börsen- und Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA ex post evaluiert
und für jeden und jede zugänglich bewertet werden. Grundsätzlich ist zu
untersagen, dass Ratings von den Bewerteten finanziert werden.

4. Die EZB muss ebenso wie eine nationale Notenbank innerhalb der EU die
Möglichkeit bekommen, Regierungen Kredite zum Niedrigstzinssatz zu gewähren.

Die EZB hat – ebenso wie das US-amerikanische Federal Reserve System – nach
dem Ausbruch der Bankenkrise an Banken Geld zum Niedrigst-Zinssatz von zum
Teil weniger als einem Prozent vergeben. Dafür wurden systemische Gründe geltend
gemacht. Die extreme und durch nichts zu rechtfertigende Einseitigkeit, dass
die EZB Geld zu Zinssätzen zwischen 0,25 und 1,5 Prozent an private Banken vergibt,
aber nicht an Griechenland oder an einen anderen Staat Geld zu ähnlich
günstigen Konditionen vergeben darf, ist eine einseitige Privilegierung von privaten
Finanzinstituten und Privatinvestitionen und eine Diskriminierung staatlicher
Institutionen, obwohl deren Investitionen nicht ertragsorientiert und auf längerfristigen
öffentlichen Bedarf ausgerichtet sind. Für Staatsausgaben, für Bildung,
Forschung oder Infrastruktur gibt es mindestens so schwerwiegende systemische
Gründe wie für die Sicherung der Kreditwirtschaft.
Dass für Staaten nach dem EZB-Statut verboten ist, was für private Banken möglich
ist, ist ein neoliberales Relikt in der Satzung der EZB, die Bestandteil der Europäischen
Verträge ist. Die Befürchtung, dass EZB-Kredite von Regierungen zu einer
unsoliden Haushaltspolitik missbraucht werden könnten, führte zu einer Regel,
die milliardenschwere leistungslose Einkommen der Banken begründet. Sie ist
sogar angesichts des zweckentfremdenden Missbrauchs der Banken zynisch: Die
Niedrigzinskredite der EZB an private Banken werden von diesen nicht zu günstigen
Konditionen an die krisengeschüttelte Realwirtschaft weitergegeben, sondern
mit kräftigen Zinsaufschlägen zur weiteren Finanzspekulation eingesetzt – als
hochverzinste Kredite an verschuldete Staaten wie Griechenland, das mit einer
rigiden Haushaltpolitik der Einsparungen die Kassen eben dieser Banken auffüllt!
Wir plädieren daher für eine glaubhaft kontrollierte, aber grundsätzliche Öffnung
der Bereitstellung von Zentralbankgeld für öffentliche Investitionsprojekte der
Euro-Mitgliedsländer.

Neben diesen Maßnahmen müssen weitere längerfristig bedeutsame Schritte
eingeleitet werden. Zwei politische Initiativen sind dabei von zentraler Bedeutung:

1. Eine Initiative für eine Wiedereinführung vereinbarter Wechselkurse:

Die Einführung des EURO war der Versuch, der Währungsspekulation entgegenzuwirken.
Im EURO-Raum ist dies bisher gelungen. Der Außenwert des Euros zeigt
jedcoh seit seiner Einführung massive Schwankungen, die nicht realwirtschaftlich
begründet sind, sondern ein Ergebnis staatlicher Kurspflege als auch spekulativer
Übertreibungen sind. Daher muss die Spekulation mit Währungen an der Börse
durch eine politisch koordinierte globale Wechselkursgestaltung eingedämmt
werden.

2. Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in der Eurozone

Die aktuelle Krise zeigt, dass das europäische Integrationsprojekt selbst als ein
Währungsraum nur dann eine Zukunft hat, wenn es zu einem Wirtschafts- und
Sozialraum ausgebaut wird. Dies verlangt nach einer gemeinsamen Wirtschafts-,
Steuer- und Sozialpolitik, um die entsolidarisierende Konkurrenz ungleicher Wirtschaftsräume innerhalb der EU zu überwinden.
Diese Massnahmen bedürfen allerdings in ihren vielen Einzelaspekten einer intensiven
Erörterung. An dieser Diskussion wird sich das „Institut Solidarische Moderne“
mit Vorschlägen beteiligen.

Zusammenfassend:

In der gegenwärtige Krise steht die EU an einem Scheideweg. Entweder das europäische
Integrationsprojekt wird durch politisch proaktive Initiativen vervollkommnet oder es scheitert, mit katastrophalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Die Krise macht sichtbar, dass durch die Freisetzung der Finanzmärkte die Integration nicht befördert, sondern unterminiert worden ist - mit hohen finanziellen und politischen Kosten für die europäischen Bürgerinnen und Bürger, deren Ausmaß heute noch gar nicht auszumalen ist.

Quelle:
Institut Solidarische Moderne | Dahlmannstraße 19 | 10629 Berlin
www.solidarische-moderne.de | info@solidarische-moderne.de
VorstandssprecherInnen: Sven Giegold, Katja Kipping, Anke Martiny, Thomas Seibert, Andrea Ypsilanti

 

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