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Andreas Schluricke.

Ein unkonventioneller Politiker und Freiheitsheld :

Europa

Eine Würdigung des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski von Basil Kerski
(Die Welt, 12. April 2010)

Lech Kaczynski passte nicht in die üblichen Schablonen, deshalb wurde er gerade in Westeuropa oft verkannt.
„Ich kannte ihn dreißig Jahre. Wir waren oft gegensätzlicher Meinung. Nach seinem Tod sollte ich mein Gewissen prüfen, ob ich in meinen Kritiken nicht zu ungerecht war.“ Diese Worte Adam Michniks, des Chefredakteurs der liberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ und ehemaligen antikommunistischen Bürgerrechtlers, geben treffend die Stimmung unter vielen polnischen Journalisten und politischen Beobachtern nach dem tragischen Tod von Lech Kaczynski wider.

Polens verunglückter Staatspräsident war kein Mensch, der in konventionelle Schubladen westeuropäischer Politik passte. Als melancholischer, schüchterner Mensch bevorzugte er Begegnungen im kleineren Kreis und weniger die großen Bühnen der Öffentlichkeit. Der kleine, runde, etwas bieder wirkende, scheue Hochschulprofessor war kein strahlender Held der modernen Medienwelt. Anstatt gelassen und souverän auf die Kritik der öffentlichen Meinung zu reagieren, konnte er oft seine Verletzung und seinen Unmut über Journalisten nicht verbergen. Ein großer Graben tat sich daher im Laufe der letzten Jahre zwischen
ihm und den Medien auf, vergleichbar mit dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Helmut Kohl und der schreibenden Zukunft in der Bundesrepublik. Ähnlich wie bei Kohl waren seine Schwächen ein beliebtes Thema der Satire und so wie im Falle des Einheitskanzlers wünschten sich viele Bürger, vor allem Intellektuelle, einen eloquenteren, strahlenden Helden als Vertreter ihrer Nation - einen Salonlöwen mit sicherem Auftreten auf dem internationalen Parkett. Doch eine andere Ähnlichkeit mit Helmut Kohls politischer Laufbahn ist die wichtigste: beide wurden unterschätzt. In entscheidenden politischen Wahlen
hatten sie oft die Nase vorn, verstanden es, die Stimmungen im Volk für sich zu nutzen.
Unterschätzt wurde Lech Kaczynski zwar im Laufe seiner Amtszeit als Staatspräsident oft, doch der große Respekt vor seiner politischen Biographie war immer präsent. Der in Warschau geborene Jurist schloss sich bereits 1977 in Danzig, wo er damals mit seiner Familie lebt, der Freien Gewerkschaftsbewegung um Bogdan Borusewicz, dem heutigen Senats-Präsidenten Polens, an. Lange vor den Streiks in den Ostsee-Werften im Sommer 1980 beteiligte sich Kaczynski unter erheblicher persönlicher Gefahr am Aufbau eines
Bündnisses zwischen Intellektuellen und Arbeitern auf, aus dem die Freiheitsbewegung Solidarnosc hervorging. Mit seinem Bruder Jaroslaw kämpfte Kaczynski mit friedlichen Mitteln gegen das kommunistische Regime. Die Arbeiter- und Bürgerbewegung versuchte die Aufforderung des Bürgerrechtlers Jacek Kuron umzusetzen: „Brennt keine Komitees an, sondern baut eigene.“
An die konsequente friedliche Haltung der Solidarnosc-Führung, an die politische Klugheit der polnischen Freiheitsbewegung haben viele im Westen 1980/1981 gezweifelt. Das Vorurteil von der politischen und strategischen Irrationalität der Polen war (und ist) weit verbreitet, man erkannte damals nicht und vergisst auch heute, dass die Solidarnosc eine Revolution neuen Typs in der europäischen Geschichte war. Die lange, 1980 begonnene und am Runden Tisch 1989 beendete Revolution war eine absichtlich selbstbeschränkte, gewaltfreie politische Erhebung, die die Konsequenz anderer blutiger Proteste im Sowjetblock kannte (Ost-Berlin 1953, Budapest 1956, Posen 1956, Prag 1968, Danzig 1970, Radom 1976) - aber auch die blutigen Dramen Polens vor Augen hatte (Warschau 1943 und 1944). Die Solidarnosc-Führung um Lech Walesa, die von Intellektuellen wie Michnik, den Kaczynskis, Bronislaw Geremek oder Tadeusz Mazowiecki beraten wurde, versuchte politischen Realismus mit Idealismus zusammen zu denken. So entstand eine neue politische Kultur in Polen, als deren Anwalt sich Lech Kaczynski verstand. Eng verbunden fühlte sich Lech Kaczynski mit der katholischen Kirche. Und hier tritt ein weiteres
Missverständnis in der Wahrnehmung seiner Person und Polens auf: Kaczynskis Religiosität und die der polnischen Freiheitsbewegung wurde oft als Ausdruck eines „rückständigen“, nationalistischen Katholizismus interpretiert. Die positive Rolle der Kirche und des Glaubens in der politischen Kultur Polens wurde und wird dabei oft übersehen. Die katholische Kirche Polens bot nicht nur Schutz der Bürgerbewegung, sie setzte sich konsequent für den friedlichen Verlauf der politischen Veränderungen ein. Das gemeinsame Gebet wurde für Christen, Nichtchristen und Atheisten zu einer kollektiven Erfahrung, die Mut und Zuversicht
schenkte. Verändert hatten die katholische Kirche Polens die Zeugenschaft der Shoah und das Zweite Vatikanische Konzil. Die katholischen Würdenträger öffneten den sozialen und politischen Sorgen ihrer Gemeinden, die ökumenische Dimension, die Begegnung mit anderen Kirchen wurde vor allem von katholischen Intellektuellen aufgegriffen. Kaczynski war Teil dieser Bewegung in der Kirche. Als Stadt-präsident von Warschau förderte er den Bau des Museums polnischer Juden, als Staatschef pflegte er die Verbindungen
zur polnisch-jüdischen Diaspora und beging mit der jüdischen Gemeinde jährlich das Chanukka-Fest.
Kaczynski betonte oft den politischen Charakter des polnischen Nationsbegriffs. Bis ins 19. Jahrhundert definierte sich die polnische Nation weder konfessionell noch ethnisch. Nach diesem traditionellen Nationsverständnis waren nicht nur Katholiken, sondern auch Protestanten, Juden sowie Deutsche und Ukrainer Polen. An dieses Nationsverständnis versuchte Staatsgründer Jozef Pilsudski nach dem Ersten Weltkrieg anzuknüpfen, doch durchgesetzt hatte sich entsprechend des politischen Klimas damals in Europa ein enges ethnisches und religiöses Verständnis von Nation. Kaczynski hat sich oft für seiner Faszination für Pilsudski bekannt, wobei er weniger an den militärischen Führer Marschall Pilsudski dachte, als vielmehr an den antikommunistischen Sozialisten und Verfechter einer multiethnischen polnischen Nation.
In dieser Dimension, vor allem in seiner Offenheit für die Ökumene, für den Dialog mit dem Judentum, wurde Kaczynski von den traditionellen, nationalistischen Katholiken um den Sender „Radio Maryja“ scharf kritisiert. Dieses Umfeld wollte ihm in den nächsten Präsidentschaftswahlen die Unterstützung entziehen.
Kaczynski wurde in der europäischen Presse oft als nationalistischer Politiker charakterisiert, manchmal sogar in die Jörg-Haider-Ecke gestellt. Eher treffender sind die Worte der Bundeskanzlerin, die ihn als „streitbaren Europäer“ bezeichnet hat. Die Haltung zu den Brüsseler Strukturen kann kein Kriterium sein für Europäertum. Kaczynski war distanziert gegenüber dem EU-Raumschiff Brüssel, vor allem misstraute er der Fähigkeit der Deutschen und Franzosen zum europäischen Mannschaftsspiel, unterstellte vor allem
den Deutschen, die EU alleine als Mittel für die Durchsetzung eigener Großmachtambitionen durchzusetzen.
Nicht nur deutsche, auch polnische politische Beobachter hielten diese Analysen für wenig
originell, denn stehen nicht alle Mitgliedsstaaten – so auch die Polen – vor der gleichen Herausforderung, vor dem gleichen Widerspruch - ihre nationalen Interessen mit denen der Europäer in Einklang zu bringen?
Die mangelnde außenpolitische Erfahrung Kaczynskis, seine Scheu, seine Komplexe gegenüber den routinierten westeuropäischen Politprofis äußerte sich auch in seiner oberflächlichen Wahrnehmung der bundesdeutschen Politik. Oft konnte man den Eindruck gewinnen, als würde er Deutschland als Monolithen wahrnehmen, als würde er kein Gefühl entwickeln können für den politischen Pluralismus der Bundesrepublik, für die innerdeutschen Auseinandersetzungen um europäische und historische Schlüsselfragen.
Er nutze diesen Pluralismus nicht für seine Interessen. Er blieb gegenüber Deutschland passiv, suchte selten das Gespräch mit der deutschen Öffentlichkeit, diesem Key-Player der EU wie er meinte, um die politischen Eliten der Bundesrepublik für seine außenpolitischen Vorstellungen zu gewinnen. Sein großes außenpolitisches Thema war die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn Polens, die Westintegration der postsowjetischen Staaten Ukraine, Belarus und Georgien. Vor allem in der Unabhängigkeit dieser Staaten von Moskau sah er eine Garantie für die Sicherheit Polens. Kaczynski wollte die europäischen
Werte, die Ideale der friedlichen Bürgerbewegungen von 1989 weiter nach Osten tragen. Nicht nationalistische Reflexe trieben ihn dabei, sondern die Sorge um den Bestand der demokratischen Kultur auf dem europäischen Kontinent. In dieser Hinsicht war er ein überzeugter Europäer und ein prominenter Vertreter der demokratischen Kultur der mitteleuropäischen Bürgerbewegungen, dieser besonderen Symbiose von Idealismus und Realismus.

 

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