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Andreas Schluricke.

„Wie groß muss der Leidensdruck werden, bevor Vereine reagieren?“ :

Allgemein

Sylvia Schenk

Die Vorwürfe gegen den THW Kiel werden konkreter, die Verbände schweigen. Sylvia Schenk war Leichtathletin, Sportdezernentin in Frankfurt und Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer. Seit Oktober 2007 ist die auf Sportrecht und im Bereich Compliance spezialisierte Anwältin Vorsitzende der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. Im Interview mit FAZ.NET spricht sie über die „Affäre Kiel“ und das mangelnde Bewusstsein von Vereinen und Sportverbänden für Korruption und Wirtschaftskriminalität.

Frau Schenk, die vermeintliche Bestechung von Schiedsrichtern durch den THW Kiel macht Schlagzeilen. Als Vorsitzende von Transparency International weisen Sie darauf hin, dass Profivereine den gleichen Anforderungen wie Wirtschaftsunternehmen unterliegen. Das hört sich an, als seien sich die Vereine diesen Verpflichtungen nicht bewusst.

In vielen Wirtschaftsunternehmen ist es mittlerweile Standard, präventiv gegen Korruption und Bestechung vorzugehen. Im Sport, im professionellen wie im semi-professionellen Bereich und bei den olympischen Sportarten hakt es noch an vielen Ecken und Enden. Der Sport ist noch nicht so weit wie die Wirtschaft. Dabei ist er besonders anfällig für Korruption, aber auch zum Beispiel für Steuerdelikte.

Im Fall des THW Kiel geht es bei den Vorwürfen konkret um die Schiedsrichterbetreuung und illegale Zuwendungen. Ist der Handball besonders anfällig?

Das Schiedsrichterwesen und der internationale Wettmarkt sind generell Einfallstore für Wirtschaftskriminalität. Der Deutsche Fußball-Bund ist nach dem Hoyzer-Skandal sehr professionell vorgegangen, sowohl mit dem konkreten Fall als auch mit präventiven Maßnahmen für die Zukunft, unter anderem mit der kurzfristigen Benennung der Schiedsrichteransetzungen. Leider haben damals offenbar andere Verbände die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Haben diese Verbände und Vereine, sofern sie als Wirtschaftsunternehmen organisiert sind, schuldhaft gegen ihre Vorsorgepflichten verstoßen, indem sie vorbeugenden Maßnahmen nicht angepasst oder installiert haben?

Ich kann nicht beurteilen, ob juristische Pflichtverletzungen vorliegen - das hängt von den einzelnen Organisationsformen und Pflichtverstößen ab. Den Kielern wird vorgeworfen, selbst bestochen zu haben, das hat mit der eigenen Vorsorge nichts zu tun. Fest steht aber, dass es in der Wirtschaft und, spätestens seit der Diskussion um Unicef, bei Verbänden wie beispielsweise Spendenorganisationen zur sogenannten „Good Governance“ gehört, die Transparenz zu erhöhen sowie Einfallstore für Kriminalität zu erkennen und zu schließen, so weit es möglich ist.

Warum fehlt diese Einsicht im Sport?

Im Sport gibt es generell die Haltung: „Wir sind die guten Menschen, wir sind wichtig für unsere Stadt, wir tun so viel für die Gesellschaft.“ Es entsteht eine Art Überidentifikation mit der eigenen Sache. Damit steigt die Bereitschaft, Schritte in die Illegalität zu unternehmen. Dieses Problem wird jedoch oft ignoriert. Wie gesagt: spätestens beim Hoyzer-Skandal hätte man aufschrecken müssen.

Das ist nicht passiert - auch im aktuellen Fall wirkt es wieder so, als seien die betroffenen Verbände und Vereine von dem Problem überrascht worden.

Das ist ja beim Doping auch regelmäßig so. Es wird so getan, als breche ein konkreter Fall über Nacht über die Beteiligten herein. Die Verantwortlichen im Sport haben noch nicht begriffen, dass Vereine wie der THW Kiel Leuchtturmunternehmen sind. Ein Mittelständler in der Wirtschaft würde in einem ähnlich gelagerten Fall Geld verlieren, die Nachricht würde es kaum über die Lokalnachrichten hinaus schaffen. Der Sport aber erzielt Reichweiten, der THW Kiel ist bundesweit, europaweit Thema. Den Radsport hat die Dopingproblematik Sponsoren gekostet, ähnliches kann auch im Handball geschehen.

Was wurde im Handball versäumt?

Wie es scheint, hätten vom europäischen Handballverband Vorgaben zur Betreuung von Schiedsrichtern in der Champions League kommen müssen zu Geschenken, zu der Bewirtung und ähnlichen Dingen. Wichtig sind außerdem Ausbildung, Schulungen und die Kontrolle der Schiedsrichter. Darüber hinaus muss es bei aufkommenden Problemen eine unabhängige, aber wirklich unabhängige Stelle geben, an die sich die Betroffenen wenden können. Ombudsleute wie in der Wirtschaft.

Wenn Sie den Sport mit der Wirtschaft vergleichen - um wie viele Jahre hinkt er hinterher?

In der Wirtschaft steigt das Bewusstsein für die Korruptionsgefahren seit den neunziger Jahren. Dieses Bewusstsein hat sich auch in der Bevölkerung durchgesetzt. Der Sport ist sicherlich mindestens fünf Jahre hinterher, und das ist besonders gefährlich: schließlich werden Vereine und Verbände mit Steuermitteln gefördert, auch Profiteams spielen meist in städtischen oder städtisch geförderten Anlagen - die Bevölkerung hat ein Recht auf den sorgsamen Umgang mit den Geldern. Für den Sport stellt das positive Image einen wesentlichen Wert dar, der kann durch solche Vorkommnisse schnell zerstört werden. Wenn Untersuchungen vorschnell abgeschlossen werden, wirkt es, als würden Probleme unter den Teppich gekehrt - auch das schadet dem Image. Vorbeugung und professionelles Handling sind essentiell für den Sport.

Was muss geschehen, damit dieser Bewusstseinswandel auch im Sport ankommt?

Inzwischen gibt es vermehrt Veranstaltungen, Diskussionen, die auf die Korruptionsproblematik im Sport hinweisen. Darüber hinaus rechne ich damit, dass Sponsoren von ihren Vertragspartnern die Einhaltung derselben strikten Regeln einfordern, die für ihre eigenen Mitarbeiter und deren Geschäftspartner gelten. Früher oder später werden sie ein Interesse daran haben, dass sich die von ihnen unterstützten Vereine und Verbände legitim verhalten.

Der Druck auf das Wirtschaftsunternehmen Sportverein steigt also aus der Wirtschaft heraus?

Die Welle rollt. Die Frage ist nur, wie groß der Leidensdruck werden muss, bevor die Vereine reagieren.

(www.faz.net)

 

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