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Andreas Schluricke.

Klaus Wowereit: Warum Integration ein mühsames Geschäft ist :

Allgemein

Manche Beobachter sagen, dass es gut sei, dass jetzt über die
Einwanderungsgesellschaft diskutiert werde. Da kann ich nur sagen:
Deutschland ist ein Einwanderungsland – seit Jahrzehnten. Seitdem
diskutieren wir in diesem Land nicht nur darüber, wir handeln auch. Ohne
Einwanderung wird unser Land mittelfristig auf die Verliererstrasse
kommen. Unsere Volkswirtschaft, der Bevölkerungswandel, auch die
Finanzierung unseres Sozialstaats hängt maßgeblich von der Frage ab, ob
Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, hier arbeiten wollen
sowie Steuern und Abgaben zahlen. Nicht nur aus diesen Gründen,
sondern auch weil es unserer Vorstellung des gesellschaftlichen
Zusammenlebens entspricht, stehen Sozialdemokraten für ein weltoffenes
und tolerantes Klima ein. Das kommt nicht von selbst – und aktuelle
Debatten zeigen, dass wir jeden Tag aufs Neue darum ringen müssen.

Die entscheidende Frage für uns lautet: Wie handeln wir? Es gibt
konstruktive Ansätze der Integrationspolitik, es gibt aber auch Bremser. Wir
erinnern uns noch gut an die Unterschriftenaktion von Roland Koch gegen
die doppelte Staatsbürgerschaft, oder den „Kinder-statt-Inder“- Slogan von
Jürgen Rüttgers. Solche Kampagnen waren auf kurzfristige parteipolitische
Vorteile berechnet, haben unser Land in der Integrationspolitik aber um
Jahre zurück geworfen. Mit Thilo Sarrazin muss diese Liste nun leider
ergänzt werden.
Sozialdemokraten und viele andere Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben
Integration von Anfang an als konstruktive Gestaltungsaufgabe begriffen
und tun dies auch noch heute. Wir wissen, eine multikulturelle Gesellschaft
entsteht nicht allein durch Handauflegen.
Deshalb machen wir es uns nicht leicht. Sozialdemokratische
Integrationspolitik hat eine große Bandbreite: Von Heinz Buschkowsky,
dem Bezirksbürgermeister von Neukölln, bis hin zu Kenan Kolat, dem
Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Die
gemeinsame Überzeugung lautet: Integration muss sozialen Aufstieg
fördern. Integration braucht Teilhabe. Integration bedeutet klare Regeln und
Grenzen. Sie ist eine dauerhafte Aufgabe. Sie lässt sich weder mit Ignoranz
oder Diffamierung noch mit einem romantischen „Alles ist gut“-Ansatz
bewältigen.
Wo wir stehen: Es ist nicht alles gut und es ist aber auch nicht alles
schlecht.
Wer heute die Integrationspolitik für gescheitert erklärt, muss sagen, was er
meint, und was er ändern will. Sonst hat er sich zwar in die Schlagzeilen
katapultiert, sich um die Gestaltungsaufgabe aber herumgedrückt.
Als Regierender Bürgermeister einer Stadt mit einer Vielfalt an sozialen
Problemen weiß ich: Die Integrationsdebatte darf nicht auf Zuwanderer
verengt werden. Wir müssen die soziale Spaltung insgesamt bekämpfen.
So haben wir zum Beispiel in den neuen Bundesländern trotz weitaus
niedrigerer Migrantenquote soziale Integrationsprobleme, die sich auf alle
beziehen.
Bildung ist der Schlüssel für mehr Aufstiegschancen und fördert den Willen
zur Integration auch dort, wo er verloren gegangen ist.
Integration neu denken heißt, davon wegzukommen, dass wir
hauptsächlich über ethnische Herkunft und religiöse Weltanschauung
sprechen, wenn das Thema Integration aufgerufen wird. Integration ist eine
zutiefst soziale Frage, die ganz eng mit Aufstieg und Aufstiegswillen und
damit mit Bildung und Qualifizierung zusammenhängt. Statt einer
Aneinanderreihung von Statistiken und Negativbeispielen brauchen wir
Vorbilder, die motivieren und deutlich machen: „Du kannst es schaffen,
wenn Du willst, und dann helfen wir Dir dabei.
Unsere Integrationspolitik folgt dem Prinzip „Klare Regeln – faire
Chancen“.
Wir in Berlin sind dabei den Rahmen zu schaffen, damit Einstiege und
Aufstiege gelingen können.
Die gebührenfreie Kita hilft, mehr Kinder aus sozial schwachen Familien an
frühkindlicher Bildung teilhaben zu lassen. Das ist der erste Baustein, um
zu einer allgemeinen Kita-Pflicht zu kommen. Das Erlernen der deutschen
Sprache wird hier bereits sehr früh und breit gefördert. Mit 60 Millionen
Euro erhalten über die Hälfte aller Berliner Schulen Mittel für die
Sprachförderung. Die Berliner Bildungsreform – mit der Abschaffung der
Hauptschule als ihren Kern – ist nicht zuletzt ein Integrationsgesetz. Die
neue Sekundarschule schafft Chancen gerade für diejenigen, die bisher
stets zu den Verlierern zählten. Wir haben dabei Erfolg: In den letzten vier
Jahren ist die Zahl der Schulabbrecher jedes Jahr gesunken.
Dort, wo Menschen Arbeit haben, wird Integration eine Erfolgsgeschichte.
Wir werben mittlerweile im Öffentlichen Dienst intensiv Bewerber mit
Migrationshintergrund an. Die Zahl der Neueinstelllungen von Beschäftigten
mit Migrationshintergrund hat sich seit 2006 gerade im Polizeidienst mehr
als verdoppelt.
Politik schafft Rahmenbedingungen, die eine gute Ausbildung ermöglichen.
Ich will, dass wir wieder mehr für die Ausbildung von Jugendlichen tun und
die Berufsschule verbessern. Jetzt müssen auch die Unternehmen endlich
erkennen, dass ihnen ohne intensive Ausbildung gerade von Jugendlichen
mit Migrationshintergrund bald ein dramatischer Fachkräftemangel droht.
Gleichzeitig setzen wir aber auch klare Regeln dort, wo Grenzen nötig sind.
Berlin gilt deutschlandweit als Vorreiter im Kampf gegen die
Jugendkriminalität. Basierend auf dem „Neuköllner Modell“ der
verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig haben wir beschleunigte
Verfahren für jugendliche Täter entwickelt, die keine zu hohen Strafen zu
erwarten haben. Hier muss die Strafe möglichst so erfolgen, dass die
Jugendlichen die Konsequenzen ihrer Tat möglichst schnell spüren.
Deshalb finden Gerichtsverhandlungen in Berlin bereits innerhalb von drei
Wochen nach der Tat statt. Dies geht nur durch eine intensive Kooperation
von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Dafür haben wir in den
letzten Jahren gesorgt. Die Abteilung 47 der Berliner Staatsanwaltschaft
kümmert sich intensiv um jugendliche Serientäter. Ihre Zahl sinkt ebenfalls
seit drei Jahren.
Und dort, wo Eltern ihrer fürsorglichen Pflicht nicht nachkommen, muss der
Staat eingreifen. Deshalb diskutieren wir auch über Heimbetreuung für
straffällig gewordene Kinder – gerade im Interesse der Kinder.
Aber es gibt eben auch Problemlagen, die vom Staat nicht allein geregelt
werden können. Ich erlebe sie, wenn ich in den Kiezen Berlins unterwegs
bin. Es sind die kleinen Sorgen des nachbarschaftlichen Zusammenlebens:
Die Rentnerin, die seit Jahrzehnten in ihrem Kiez lebt, und inzwischen
Probleme hat, sich dort zu orientieren, weil sich alles verändert hat.
Pöbeleien auf der Straße oder im öffentlichen Nahverkehr. Entstandene
Parallelgesellschaften, die Integration erschweren. Die Angst, an den Rand
der Stadt gedrängt zu werden. Ja, diese Ängste gibt es. Sie münden
oftmals in Misstrauen, das nicht selten der Einfachheit halber auf den Islam
als Religion projiziert wird und so das Integrationsklima zusätzlich
erschwert. So falsch diese Ableitung auch ist, wir müssen uns ihr stellen.
Politik muss dort eingreifen, wo Unsicherheiten entstehen. Die Menschen
müssen sich darauf verlassen können, dass die Politik sich um Ordnung
kümmert. Und daran arbeiten wir mit Verbänden, Initiativen und
Engagierten jeden Tag. In den Städten sehen wir, dass vor allem die
Stadtteilarbeit so wichtig ist. Hier wird für Integration, Respekt und
Verständnis gekämpft statt lediglich darüber zu reden. Und deshalb ist es
eine Schande, dass die schwarzgelbe Bundesregierung gerade an dieser
Stelle massive Kürzungen vornimmt – zum Beispiel bei der
Städtebauförderung spart.
Integration bedeutet die Überwindung sozialer Ungleichheit durch Teilhabe.
Niemand verschließt die Augen vor den Problemen. Wir müssen aber auch
keine Angst vor den Herausforderungen haben. Berlin ist auf dem Weg zu
einer neuen sozialen Ordnung, die klare Regeln setzt und Grenzen
aufzeigt, aber auch Hilfe anbietet und Aufstiegschancen erhöht.

Von Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin und stellv.
SPD-Vorsitzender
erschienen in der Berliner Zeitung am 4. September 2010

 

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